Essen, Basteln, Malen, Schreiben… Die feinmotorische Entwicklung

Wenn das Jacke zuknöpfen eine Ewigkeit dauert und sie am Ende lieber offen gelassen wird. Wenn die Deutschaufgabe praktisch unlesbar ist, obwohl der Inhalt genau die Fragestellung trifft. Wenn der eine Baustein einfach nicht auf dem anderen bleibt und der Turmbau in einem Wutanfall endet.  Wenn der Löffel nicht das tut, was er soll und das ganze Mittagessen unterm Tisch landet. Dann ist es vielleicht einen Versuch wert, einen genaueren Blick auf die feinmotorische Entwicklung zu werfen.

Was ist Feinmotorik und wofür braucht man sie?

Feinmotorik ist die Fähigkeit, kleine, präzise, genau dosierte Bewegungen mit den Händen, aber auch den Füßen, dem Mund, den Augen und dem Gesicht zu machen. Relevant ist sie für Alltagsaktivitäten wie selbstständiges Essen, Trinken, Anziehen, Malen, Basteln und Schreiben. Sie wirkt sich aber auch auf die kognitive Leistung und das Selbstbewusstsein aus.

Feinmotorik braucht man zum Beispiel beim Basteln mit Knetmasse. Bild von Watercolor Artist von Pixabay.

Entwicklung

Mit dem Tag der Geburt – und eigentlich schon davor – startet die feinmotorische Entwicklung. Vom Greifreflex bei Neugeborenen (das Baby schließt die Hand, wenn ihm z.B. ein Finger in die offene Handfläche gelegt wird) über das erste aktive Greifen mit 3 Monaten (zuerst ein-, dann beidhändig und schließlich sogar über die Mittellinie), das Erkunden von Händen, Mund und Füßen (eines wird zum anderen geführt), dem ersten Pinzettengriff mit etwa 9 Monaten (Greifen mit Daumen und Zeigefinder) bis hin zum begeisterten Festhalten, Loslassen und Wegwerfen von Dingen (so lernt das Baby Ursache und Wirkung) ist das erste Lebensjahr voller Veränderungen.

Anfang des 2. Lebensjahres werden (nicht zu kleine) Steckspiele, Bauklötze, Ein- und Ausräumspiele und Bitte-Danke-Spiele interessant, etwas später auch Essen mit dem Löffel, beidhändiges Trinken aus einem Becher, Umblättern von Seiten und das Auffädeln großer Perlen. Im 3. Lebensjahr folgen das Auf- und Zudrehen von Flaschendeckeln, Duplo und erste Basteleien, ab dem 4. Lebensjahr werden Knöpfe und Reißverschlüsse auf- und zugemacht, ab dem 5. Lebensjahr beginnt langsam das Masche binden, ab dem 6. Lebensjahr führen beide Hände unterschiedliche Bewegungen aus.

In Bezug auf das die Grafomotorik (das Malen und Schreiben) beginnen Kinder ab einem Jahr unwillkürlich zu Kritzeln und halten den Stift dabei im Faustgriff. Mit zwei Jahren entstehen vertikale und später horizontale Linien, schließlich auch Spiralen und mit etwa drei Jahren Kreise. In der Zeit ändert sich die Stifthaltung vom Faustgriff zum sogenannten Dreipunktgriff. Mit vier Jahren sind Formen wie ein Kreuz möglich, mit fünf Jahren auch Vierecke und erste Großbuchstaben. In der ersten Volksschulklasse folgen die ersten Worte in Groß- und Kleinbuchstaben, die zunächst viel Aufmerksamkeit und Zeit erfordern, aber in der 3. Klasse zusehends automatisiert und beschleunigt werden.

Da die kindliche Entwicklung sehr variabel ist, kann zwischen Kindern des selben Alters eine große Spannweite liegen kann. Die oben genannten Zeitpunkte sind als Richtwerte zu verstehen. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass ein Entwicklungsschritt auf dem nächsten aufbaut. So ist zum Beispiel das Festhalten und Loslassen, das etwa um den 1. Geburtstag gelernt wird, eine Vorläuferfertigkeit für das Schreiben.

Verzögerung der Feinmotorik

Trotz der variablen Entwicklung entsteht der Verdacht auf eine feinmotorische Verzögerung oder Störung in der Praxis meist dann, wenn Kinder Entwicklungsschritte deutlich später erreichen als Altersgenoss:innen. Es kann sein, dass sie bei Tätigkeiten wie Malen oder Basteln langsamer, ungenauer oder verkrampfter sind oder diese ganz vermeiden. Häufiger betroffen als andere sind frühgeborene Kinder sowie Kinder mit Übergewicht, einer Aufmerksamkeitsstörung oder grobmotorischer Entwicklungsverzögerung.

Ein Anhaltspunkt, ob tatsächlich eine Verzögerung vorliegt, sind Grenzsteine. Dies ist der Zeitpunkt, an dem 90% der Kinder in dem Alter eine gewisse Tätigkeit meistern. Der 3. Geburtstag ist beispielsweise der Grenzstein für das Umblättern von Buchseiten.

Steht der Verdacht im Raum, verschafft ein Besuch beim Kinderarzt/bei der Kinderärztin Klarheit. Diese:r kann bei Bedarf auch eine Überweisung zur Physiotherapie ausstellen.

Unser physiotherapeutischer Beitrag

Mit einem Gespräch und einer Untersuchung klären wir zunächst ab, wie der momentane Stand der Dinge ist und ob Physiotherapie das Richtige ist. Dann machen wir uns gemeinsam auf die Suche, wo Ursachen liegen könnten. Wir schauen uns zum Beispiel Greifformen, die Koordination innerhalb einer Hand und zwischen beiden Händen, die Handwahrnehmung, Handkraft und die spezifisch Aktivität, die schwer fällt, an. Auch die grobmotorische Entwicklung, die Körperhaltung und die Aufmerksamkeit bei Bewegungsaufgaben werden miteinbezogen.

In einem weiteren Schritt setzen wir – Kind, Eltern und Therapeut:in – ein gemeinsames Ziel. Auf dieses Ziel und den nächsten Entwicklungsschritt arbeiten wir dann mit spezifischen Übungen und Spielen hin. Die Therapie findet entweder in einem Therapieraum oder im großen Spielraum statt, in dem wir die verschiedensten Materialien, von Feinmotorikspielen bis hin zu einer Therapieschaukel, haben. Außerdem schicken wir auch auf die Bedürfnisse abstimmte Ideen für Spiele, Aktivitäten, Übungen und Umfeldgestaltung mit nach Hause.

Inspiration, wie man die Feinmotorik daheim im Alltag fördern kann, folgt im nächsten Blogpost. Spielideen gibt es auch jetzt schon auf unserer Instagramseite.

Quellen

Arend F Bos, Koenraad N J A Van Braeckel, Marrit M Hitzert, Jozien C Tanis, Elise Roze (2013) Development of fine motor skills in preterm infants, DMCN 55:s4, https://doi.org/10.1111/dmcn.12297.

Hans-Joachim Laewen (o.J.) Grenzsteine der Entwicklung, https://www.kiz-mv.de/app/download/13725145022/Grenzsteine_der_Entwicklung.pdf

Ute Hammerschmidt, Janine Koch (Hrsg) (2018) Leidfaden Physiotherapie in der Pädiatrie. Elsevir.

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